Mein Jahr 1954 – Alena Breuerová

Es ist ein seltsames Jahr. Irgendwann muss dieses Trampeln auf der Stelle ein Ende haben, aber jetzt scheint niemand mehr zu wissen, wie man da rauskommt. Ein Jahr nach dem Tod Stalins und Gottwalds, sechs Jahre nach dem „triumphalen Februar“. … Als würde sich nichts bewegen. Und doch passiert etwas.

Die dritte Welle politischer Prozesse ist in der Tschechoslowakei auf ihrem Höhepunkt und die Zeitungen schreiben immer noch im reinsten „Stil der 1950er Jahre“. Aber es liegt eine Veränderung in der Luft. Bei manchen passiert es noch nicht. Und andere wollen nicht warten und versuchen, so weit es geht. Weit davon entfernt. Aber auch nicht zurück.

Prag wurde damals als „kommunistisches Genf“ bezeichnet. Wie das Schweizer ist es ein diplomatischer Knotenpunkt, ein Zentrum der politischen Emigration und ein Treffpunkt für Geheimagenten. Hier haben internationale Organisationen ihren Sitz: der Weltfriedensrat, die Internationale Journalistenorganisation, die Internationale Studentenunion...

Auf internationaler Ebene gibt es sichtbare Anzeichen einer Entspannung. Chruschtschows Tauwetter in der Sowjetunion weckt auch Gedanken über eine „friedliche Zusammenarbeit zwischen Ländern mit unterschiedlichen Systemen“. Auch Reden tschechoslowakischer Partei- und Regierungsfunktionäre sind ein Zeichen für eine stärkere Versöhnung.

Die Stimmung in der Gesellschaft verändert sich. Schließlich gibt es in den Läden mehr und die Preise sinken. „Volksunterhaltung“ bekommt mehr Freiheiten. Bälle, Partys, Partys. Sie tanzen – fast überall. Kultur- und Entspannungsparks werden eröffnet. Die Menschen hatten in den vergangenen Jahren viel Spaß. Jetzt wollen sie normal leben. Und die Mehrheit ist sich immer noch darüber einig, was normal ist.

269.769 Kinder werden in diesem Jahr in der Tschechoslowakei geboren. Das Schicksal schickte sie in einem interessanten Moment auf die Welt. Sie werden seinen Abdruck tragen. Mit vierzehn werden sie den Prager Frühling erleben. Und wenn sie fünfunddreißig werden, kommt ein radikaler Haarschnitt. Die Zeit riss den Vorhang – und die Welt veränderte sich...